Sigridur Hagalin Björnsdottir – Blackout Island

Sigridur Hagalin Björnsdottir – Blackout Island

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Das Schreckensszenario ganz nah

Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie ich mich manchmal bei Büchern fühle. Manchmal weine ich mit. Leide meist mehr als der Protagonist. Manchmal wird es mir einfach zu düster. So ein gruseliges Gänsehautfeeling hatte ich auch bei dem folgenden Buch. Es ist kein Thriller, es wird auch nicht dramatisch ekelhaft. Aber diese Ausgangssituation hat mich schon in Schrecken versetzt. So sehr, dass ich das Buch manchmal gar nicht richtig weiterlesen wollte. Und dabei meine ich es noch nicht einmal im negativen Sinne. Ich habe viel während des Lesens des Buches nachgedacht. In welch einer Welt leben wir eigentlich? Man sollte doch mehr die Umwelt schätzen und bewusster leben. Denn so, so, so schnell kann alles vorbei sein.

Vorbei war die Welt auch in Island. Von einem Tag auf den anderen ist die Kommunikation zwischen Island und dem Rest der Welt gekappt. Keine Flieger starten und landen mehr auf Island. Keine Schiffe kommen an. Kein Internet, kein Kontakt ins Ausland. Die Insel ist einfach abgeschnitten von der Welt. Sie muss sich neu organisieren. Und das blanke Chaos bricht aus. So auch bei dem Journalisten Hjalti. Bald läuft er ins Ministerium über, dorthin, wo die neue Machtzentrale der Insel entsteht. Und muss irgendwann begreifen, dass Macht und Unterwerfung nicht alles im Leben ist.

Sigridur Hagalin Björnsdottir – Blackout Island

Wie bereits geschrieben, dreht sich alles um den Journalisten Hjalti. Frisch getrennt von der Violinistin Maria und deren Kinder, fängt eigentlich für ihn ein freier und neuer Lebensabschnitt an. Vermiest wird dieser durch das Blackout. Aber er zögert nicht lang, und begibt sich in die Hände seiner Jugendfreundin, die nun Island regieren möchte. Dass da nicht alle zufrieden sind und schnell eine Opposition gegründet wird, lässt sich erahnen. Viel wird in dem Buch über die politische Macht geschrieben. Ohne zu sehr in die Politik abzudriften. Hjalti schwärmt anfangs eher auch für die Frau, als für ihre Machtposition. Ihr und ihren Freunden geht es gut, auch nach dem Blackout. Und Hjalti lässt es sich auch gut gehen. Ja, er genießt es.

Es ist beängstigend, wie die Welt (also Island) nach dem Blackout beschrieben wird. Es herrscht das blanke Chaos. Jobs werden unbrauchbar, die Währung kippt, es gibt kein Öl mehr, also keine Autos, Motoren, etc. Es lebt der Tauschhandel. Oder vielmehr der Diebstahl. Es herrscht Krieg auf den Straßen. Die Opposition drängt gegen unnützliche Jobs, wie das Staatsorchester. Das bringt Maria sehr ins straucheln. Als dann auch noch ihre Tochter flügge wird und sich einer Jugendgang anschließt, ist die Beziehung der beiden sehr belastet. Aber schlimmer wird es trotzdem noch für Maria: sie ist geborene Dänin, lebt seit 15 Jahren auf Island und ist mittlerweile isländische Staatsbürgerin. Aber da ist die Gesellschaft schon längst gekippt: es herrscht der pure Rassismus.

Island kann nach dem Blackout nicht alle Bewohner verpflegen. Die Nahrungsmittel reichen nicht für alle. Und da ist den Isländern alles recht: Touristen raus. Alle mit Migrationshintergrund raus. Sie werden verfolgt, getreten, verschleppt. Letztendlich gibt es richtige Lager für diese. Das kommt einen bekannt vor? Ja klar, die Geschichte gab es tatsächlich schon in der Realität (wenn auch nicht auf Island und auch nicht nach einem Blackout). Und auch heute kann man solche Tendenzen mehr als zu deutlich erkennen.

Der Autor hat es geschafft, zwei Szenarien in einem Buch zu verweben, ohne künstlich zu wirken: der aufstrebende Hjalti, der trotz Blackout kein Leid erfahren muss, da er zu dem Inneren Kreis der Macht gehört. Und Maria, die sich durch das Leid von Jobverlust, Neuanfang auf dem Land und dann durch den blanken Rassismus kämpfen muss. Für sich und ihre Kinder.

Wer jetzt meint, zu erfahren müssen, was es sich nun mit dem großen Blackout auf sich hat, wird hier enttäuscht. Es wird nicht erklärt. Der Blackout passiert einfach so. Was man hier erlebt, ist die Welt danach. Der Neuanfang einer Gesellschaft, Neustrukturierung, Machtspiele. Und dafür lohnt sich dieses Buch.

Mich ließ dieses Szenario einfach nicht los. Es ist und bleibt schrecklich. Aber diese Tendenzen, die Macht der Gesellschaft, diese Radikalität, dieser Rassismus. All das ist auch heute viel zu nah und leider auch viel zu deutlich in der heutigen Gesellschaft.


Sigríður Hagalín Björnsdóttir – Blackout Island

Suhrkamp Verlag

277 Seiten

5 Sterne

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